Aufenthaltsbestimmungsrecht bei Umzug mit den Kindern ohne Zustimmung des anderen Elternteils

15.02.2024

(DAV). Ist der Streit zwischen einem Ehepaar so eskaliert, dass die Frau mit den Kindern in ein Frauenhaus zieht, stellt sich häufig die Frage, welcher Elternteil darüber entscheidet, wo die Kinder zukünftig leben (Aufenthaltsbestimmungsrecht).

Die Mutter war mit ihren beiden Kindern, geboren 2018 und 2021, nach einem Streit aus der Ehewohnung ausgezogen und nach Norddeutschland in ein Frauenhaus gezogen. Die Eltern stritten nun um das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Der Vater wollte erreichen, dass seine beiden Töchter wieder in die ehemalige Ehewohnung zurückkehrten. Er habe insbesondere zu der älteren Tochter eine sehr intensive Beziehung. Seine Zeit könne er sich frei einteilen, so dass er auch das jüngere, eineinhalb Jahre alte Kind versorgen könne.

Die Mutter legte dar, bei ihrem Mann gebe es weder für sie noch für ihre Kinder Sicherheit für Leib und Leben. Ihr Mann habe sie schon mehrfach mit dem Tod bedroht. Eine Trennung komme für ihn nicht in Frage. Das Leben der Kinder und ihres selbst sei von Wutausbrüchen und dem impulsiven Verhalten des Mannes geprägt gewesen.

In erster Instanz übertrug das Gericht der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder. Dem schloss sich das Gericht in zweiter Instanz in seiner einstweiligen Anordnung an.

Die Abwägung richte sich dabei nicht an einem möglichen Fehlverhalten eines Elternteils aus, sondern orientiere sich vorrangig am Kindeswohl, betonten die Richter. Die Entscheidung habe

  • die Erziehungseignung der Eltern,
  • die Bindungen des Kindes,
  • die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität
  • den Kindeswillen

zu berücksichtigen. Jedes einzelne Kriterium könne je nach Einzelfall mehr oder weniger wichtig für die Beurteilung sein.

Umzug mit den Kindern ohne Zustimmung des Partners
Ginge es ausschließlich um das ältere Kind, käme eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater in Betracht, dies insbesondere mit Blick auf die soziale Kontinuität. So gehe die Tochter dort, wo der Vater lebe, zum Kindergarten. Die Bindung scheine zu beiden Elternteilen gut zu sein.

Da eine Geschwistertrennung zu vermeiden sei, komme die Übertragung auf den Vater jedoch nicht in Frage, Die kleinere Schwester sei gerade einmal eineinhalb Jahre alt und werde noch gestillt. Sie sei auf die weitgehende Versorgung und Nähe der Mutter angewiesen.

Das Gericht verwies auch darauf, dass Geschwister sich gerade in Trennungsfällen gegenseitig stützen könnten. Beide Kinder befänden sich noch in einem sehr jungen Alter und einer sensiblen Entwicklungsphase. Dass die ältere Tochter eine Trennung von der Mutter und ihrer Schwester ohne weiteres verkraften würde, wie der Vater meine, sei gerade nicht selbstverständlich. Es bestehe die Gefahr einer Belastungsreaktion, deren Ausmaß und Intensität man nicht abschätzen könne. Auch habe der Vater betont, dass er eine Trennung der Kinder nicht wolle, diese sollten vielmehr zusammen aufwachsen.

Kontakt zum getrenntlebenden Elternteil – wesentlich für Kindeswohl
Allerdings sah das Gericht bei der Mutter eine eingeschränkte Bindungstoleranz, das heißt, eine eingeschränkte Einsicht darüber, dass es für das Kindeswohl wesentlich sei, den Kontakt zum getrenntlebenden Elternteil zuzulassen. Ob und wie weit sie sich von ihrem Mann bedroht gefühlt habe, konnte das Gericht nicht abschließend beurteilen.

Mit den Kindern ohne vorherige gerichtliche Klärung wegzuziehen, also vollendete Tatsachen zu schaffen, sei sicherlich dem Kindeswohl nicht dienlich. Die Mutter habe den Kontakt insbesondere der älteren Tochter zu ihrem Vater abrupt unterbunden. Das Gericht bezweifelte, dass tatsächlich kein Frauenhaus in der näheren Umgebung bereit gewesen wäre, sie und die Kinder vorübergehend aufzunehmen.

Die Mutter hatte allerdings bereits erklärt, sie sei bereit, in die Nähe des Vaters zu ziehen, um diesem – zumindest begleitete – Umgangskontakte zu ermöglichen.

Oberlandesgericht Stuttgart am 10. Februar 2023 (AZ: 15 UF 267/22)