Gemeinsames Sorgerecht: Keine Kontrolle des anderen Elternteils

04.11.2022

(red/dpa). Trennen sich die Eltern, strebt nicht selten ein Elternteil das alleinige Sorgerecht an, während der andere das gemeinsame Sorgerecht durchsetzen will. Die Übertragung der gemeinsamen Sorge muss dem Kindeswohl dienen – es hat nicht die Aufgabe, erzieherische Alleingänge eines Elternteils zu verhindern.

Die Eltern der 2013 und 2019 geborenen Kinder waren nicht verheiratet und hatten eine On/Off-Beziehung geführt. Das Sorgerecht für die ältere Tochter erhielten sie gemeinsam, für den jüngeren Sohn hat es die Mutter allein. Vor Gericht wollte der Vater die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch für den Sohn durchsetzen.

Die Mutter lehnte das ab: Der Vater habe sie in der Vergangenheit immer wieder herabgesetzt, beleidigt und ihr die Erziehungsfähigkeit abgesprochen. Zudem fürchte sie sich vor seiner aufbrausenden Art.

Gemeinsames Sorgerecht: Kompromissfähigkeit Voraussetzung
Der Vater legte unter anderem dar, die Mutter ignoriere und torpediere selbst gerichtlich vereinbarte Umgangsregelungen. Die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei auch zur Verhinderung weiterer erzieherischer Alleingänge der Mutter geboten.

Das Gericht lehnte den Antrag des Vaters ab. Das gemeinsame Sorgerecht könne übertragen werden, wenn ein guter Kontakt zwischen dem anderen Elternteil und dem Kind bestehe und die Eltern auch bei unterschiedlichen Vorstellungen Kompromisse erzielen könnten. Die Übertragung der gemeinsamen Sorge sei hingegen ausgeschlossen, wenn schwerwiegende und nachhaltige Kommunikationsstörungen vorlägen und diese nicht nur auf einer grundlosen einseitigen Verweigerungshaltung beruhten.

Im vorliegenden Fall widerspreche ein gemeinsames Sorgerecht zum einen dem Kindeswohl, zum anderen fehle es zwischen den Eltern an einer tragfähigen sozialen Beziehung und an dem erforderlichen Mindestmaß an Übereinstimmung. Eine sachliche Kommunikation zwischen den Eltern sei nicht möglich. Es sei offensichtlich, dass es an jeglicher gegenseitiger Wertschätzung fehle. Durch die zu erwartenden Konflikte seien zunehmende Belastungen für das Kind zu befürchten.

Gemeinsame Sorge zum Schutz vor Fehlverhalten eines Elternteils?
Entgegen der Auffassung des Vaters sei die Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts auch nicht zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge der Mutter gedacht. „Weder die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge noch deren Aufhebung stellt ein Instrument zur gegenseitigen Kontrolle der Eltern oder zur Sanktion eines etwaigen vorangegangenen Fehlverhaltens eines Elternteils dar“, erläuterte das Gericht.

Oberlandesgericht Braunschweig am 21. Juli 2022 (AZ: 1 UF 115/21)