Schulverweigerung ist nicht in jedem Fall Kindeswohlgefährdung

08.03.2022

(red/dpa). In Deutschland besteht Schulpflicht. Eltern können nicht ohne weiteres ihre Kinder zuhause unterrichten. Im Einzelfall kann eine so genannte Heimbeschulung allerdings rechtens sein.

Die Eltern unterrichten ihren gehörlosen Sohn zuhause. Seine Mutter ist staatlich geprüfte Übersetzerin, hat einen Hochschulabschluss in Biologie und absolviert ein Fernstudium der Bildungswissenschaft.

Schulbehörde und Jugendamt versuchten die Eltern vergeblich dazu zu bewegen, ihren Sohn in die Schule zu schicken. Das Jugendamt wandte sich dann wegen einer möglichen Kindeswohlgefährdung an das Amtsgericht.

Dieses stellte klar, dass es den Eltern das Sorgerecht nicht entziehen würde. Es erteilte den Eltern allerdings Auflagen mit dem Ziel der Wiederaufnahme des Schulbesuchs. Die Eltern legten Beschwerde ein.

Heimbeschulung kann ausreichend sein
Mit Erfolg. Im Falle einer Schulverweigerung könne man nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung annehmen, erläuterte das Oberlandesgericht. Man müsse alle wesentlichen Aspekte des konkreten Einzelfalls ermitteln und bewerten. Eine „gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende, erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes“ konnten die Richter jedoch gerade nicht feststellen. So hätten etwa die bereits in der ersten Instanz eingeholten Gutachten keine psychopathologischen Auffälligkeiten ergeben.

Letztlich beruhte die Überzeugung, dass bei dem Kind keine konkrete Kindeswohlgefährdung bestehe, auf dem positiven persönlichen Eindruck. Die Richter hatten mit dem Jungen ein einstündiges Gespräch geführt, dass er aus ihrer Sicht gut gemeistert hatte. Er habe keinerlei auffälliges Verhalten gezeigt. Zudem habe er Gelegenheit, sich durch den Umgang mit Freunden und Vereinsaktivitäten außerhalb der Familie in andere Strukturen einzufinden. In der Kinder- und Jugendfeuerwehr müsse er sich auch Prüfungssituationen stellen. Dadurch und durch die Wissensvermittlung im Heimunterricht zumindest in den Grundlagenfächern sei „auch die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes im Hinblick auf eine spätere selbstbestimmte Lebensführung“ ausreichend gewährleistet.

Ein staatliches Einschreiten sei nur zur Abwehr einer konkreten Kindeswohlgefährdung möglich, nicht jedoch, um die optimale Förderung eines Kinds zu erreichen. Diese werde mit der Heimbeschulung unter anderem angesichts der wenigen Fächer und der kurzen Unterrichtszeit nicht erreicht. Nach Ansicht des Gerichts könne eine bestmögliche Förderung nur durch eine staatliche Schule oder anerkannte Ersatzschule gewährleistet werden. Ebenso sei fraglich, ob der für das Kind angestrebte Externenabschluss den gleichen Stellenwert wie ein regulärer Schulabschluss haben werde. Dies falle jedoch in den Verantwortungsbereich der Eltern, da die Grenze zur Kindeswohlgefährdung nach den vorstehenden Ausführungen nicht überschritten werde.

Abschließend wies das Gericht darauf hin, dass es nicht seine Aufgabe sei, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen und verwies hier auf die Schulbehörde.

Oberlandesgericht Bamberg am 22. November 2021 (AZ: 2 UF 220/20)