Verweigerter Schulbesuch – Sorgerechtsentzug für schulische Angelegenheiten

15.11.2022

(red/dpa). Weigern Eltern sich, ihr Kind zur Schule zu schicken, gefährden sie in der Regel das Kindeswohl. Ein teilweiser Entzug des Sorgerechts kann die Konsequenz sein.

Das Kind wurde 2021 zwar eingeschult, erschien aber nicht zur Schule. Das erklärten die Eltern mit der Pflicht zu Coronatests (diese würden Krebs verursachen) und mit der Maskenpflicht, die zu Erstickungsanfällen führe. Sie legten das Attest eines Zahnarztes vor, der zuvor wegen falscher Atteste verurteilt war. Außerdem behaupteten die Eltern, es bestehe die Gefahr einer Zwangsimpfung durch die Schule. Der Junge besucht regelmäßig Treffen des Jugendverbands einer Freikirche pfingstkirchlicher Prägung.

Die Schule des Jungen wandte sich an das Jugendamt. Ein Vermittlungsversuch zwischen Eltern und Schule scheiterte. Die Familie zog dann um. Den fehlenden Schulbesuch erklärten sie in der Folgezeit damit, dass ihr Sohn sich durch das "Freilernen im Homeschooling" "toll" entfalten könne; das Kind wolle dies so weiterführen. Sein Bildungsstand könne jederzeit überprüft werden.

Das Oberlandesgericht entschied: Der Junge muss zur Schule gehen. Das elterliche Sorgerecht wurde ihnen für schulische Angelegenheiten und das Aufenthaltsbestimmungsrecht jeweils für die Dauer der Unterrichtszeiten vorläufig entzogen. Als Ergänzungspfleger bestimmte das Gericht das Jugendamt.

Verletzung der Schulpflicht trotz Homeschooling?
Das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern werde durch die allgemeine Schulpflicht beschränkt, erläuterte das Gericht. Diese Beschränkung diene dazu, den staatlichen Erziehungsauftrag durchzusetzen. Ziel des Auftrags sei die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Zum anderen gehe es auch darum, dass das Kind zu einem verantwortlichen Staatsbürger heranwachse. Der Schulbesuch ermögliche es, soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden zu erlernen, Toleranz zu leben sowie Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einzuüben.

Kindeswohlgefährdung: Kinder gehen nicht zur Schule
Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setze dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenze, sie verlange auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzten und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschlössen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft bedeute der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung.

Es bestünden ausreichend Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls. Die Eltern hätten über ein vollständiges Schuljahr hinweg nicht für einen Schulbesuch des Kinds gesorgt. Die von ihnen genannten Hinderungsgründe spätestens seit den Osterferien im April 2022 weggefallen seien. Damit würden sie die Entwicklung des Kindes zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit und die gleichberechtigte Teilhabe des Kindes an der Gesellschaft gefährden.

Oberlandesgericht Karlsruhe am 16. August 2022 (AZ: 5 UFH 3/22)