Beschlüsse Kinder

Übertragung der Schulwahl auf einen Elternteil: Förderkompetenz und Kontinuitätsgrundsatz

05.04.2022

(red/dpa). Können sich Eltern in einer Angelegenheit, die für ihr Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, kann das Gericht die Entscheidungsbefugnis in dieser Sache einem Elternteil übertragen. Das gilt etwa für Schulfragen.

Die getrenntlebenden Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht. Seit der Corona-Pandemie betreuen sie ihren Sohn im Wechselmodell, was der Vater im Gegensatz zur Mutter dauerhaft beibehalten möchte.

Die Eltern konnten sich nicht einigen, auf welchem Gymnasium sie ihren Sohn anmelden sollten. Beide wollten daher die Übertragung der Entscheidung über die Schulanmeldung auf sich erreichen.

Die Schule, für die der Vater plädierte, befand sich im bisherigen sozialen Umfeld des Jungen. Auch seine beiden besten Freunde würden zukünftig diese Schule besuchen. Aufgrund der Lage der Schule könne dann zudem das Wechselmodell besser beibehalten werden.

Schulwahl kann auf einen Elternteil übertragen werden
Die Mutter setzte sich für ein andere weiterführende Schule ein, weil sie den Neigungen des Sohns am besten entspreche. Es handele sich um eine MINT-Schule mit bilingualem Unterricht und einer besonderen Sportförderung.

Das Gericht sprach der Mutter die Entscheidungsbefugnis zu. Bei der Entscheidung seien sämtliche wichtigen Faktoren zu prüfen und gegeneinander abzuwägen. Bei der Wahl der Schule sei insbesondere die Auswirkung auf das soziale Umfeld des Kinds in die Erwägungen mit einzubeziehen.

Ein wichtiges Kriterium bei einer solchen Entscheidung sei der so genannte Kontinuitätsgrundsatz: Es empfehle sich die Regelung, die die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehung am besten wahre. Diese Kontinuität betreffe zum einen die Beziehungen des Kindes in seinem Umfeld („Beziehungskontinuität“), sowie hinsichtlich seines Wohnorts („Umgebungskontinuität“). Letztere spreche für das vom Vater favorisierte Gymnasium. Hier habe der Junge seine Freunde und sei seinen Hobbys nachgegangen. Allerdings seien mit dem Schulwechsel weitreichende Änderungen zu erwarten. Auf dem Gymnasium hätten die Kinder neue Lehrer, mehr Fächer und Hausaufgaben. Mit dem Wechsel ändere sich außerdem die Klassenzusammensetzung. Häufig seien mit dem Wechsel auch neue Freundschaften verbunden. Es sei darüber hinaus auch nicht sicher, dass er mit seinen beiden Freunden weiterhin eine Klasse besuche.

Die Beziehungskontinuität spreche für die Mutter. Sie sei vor und nach der Trennung der Eltern die Hauptbezugsperson für den Sohn gewesen. Das habe erst die paritätische Betreuung während der Corona-Pandemie geändert. Sie stelle eine besondere Situation dar. Aus Sicht der Richter komme aufgrund des Alters des Jungen der Beziehungskontinuität ein höheres Gewicht zu.

Hinzu komme, dass die Mutter eine höhere Förderkompetenz habe als der Vater.
„Die Förderkompetenz umfasst die Fähigkeit der Eltern, dem Kind die Bewältigung seiner Entwicklungsaufgaben zu ermöglichen, es bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit zu unterstützen und gleichmäßig zu betreuen und zu erziehen.“

Der Vater habe in der persönlichen Anhörung mitgeteilt, dass sich die Mutter bisher um die Schulfragen federführend gekümmert habe. Sie bringe als Lehrerin die Kompetenzen mit. Die Mutter habe auch nachvollziehbar dargelegt, dass das von ihr ausgewählte Gymnasium den Stärken des Sohns in besonderer Weise gerecht werde. Im Gegensatz dazu habe der Vater sich zum pädagogischen Konzept der von ihm genannten Schule nicht geäußert.

Darüber hinaus habe die Anhörung der Eltern auch gezeigt, dass die Mutter näher bei ihren Kindern sei. Sie macht sich tiefergehende Gedanken um die Entwicklung der Kinder, benenne diese und setze sie entsprechend um.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg am 22. Juni 2021 (AZ: 12 UF 61/21)