Beschlüsse Kinder

Eingriff in das elterliche Sorgerecht nur bei konkreten Verdachtsmomenten

25.05.2009

Bestehen auch nur geringe Anzeichen für eine massive Gefährdung des Kindeswohls, etwa durch eine Genitalverstümmelung, rechtfertigt das bereits einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht. Es müssen aber auf jeden Fall konkrete Verdachtsmomente vorliegen. Das entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe am 25. Mai 2009 (Az: 5 UF 224/08).

Die Tochter äthiopisch-stämmiger, in Deutschland lebender Eltern sollte die Sommerferien in Äthiopien bei ihren Grosseltern verbringen. Task Force, eine Organisation, die sich gegen die Praxis der Genitalverstümmelung engagiert, beantragte, den Eltern die elterliche Sorge hinsichtlich der Ausreise des Mädchens und ihrer Gesundheitsfürsorge zu entziehen. Die Organisation sah die akute Gefahr, dass das Mädchen in Äthiopien einer Genitalverstümmelung unterzogen würde.

In erster Instanz folgten die Richter dem Antrag. Sie argumentierten, dass die Eltern ihre Tochter nicht in das Heimatland begleiten würden, ihren Schutz in dem „Hochrisikoland“ Äthiopien also nicht gewährleisten könnten. Außerdem hatten sich die Eltern geweigert, jedes Jahr bis zur Volljährigkeit der Tochter eine Bescheinigung der körperlichen Unversehrtheit ihres Kindes vorzulegen.

Die Richter der zweiten Instanz gaben jedoch den Eltern Recht. Sie folgten dem Grundsatz der Kollegen der ersten Instanz, nach dem auch eine geringe Wahrscheinlichkeit ausreiche, wenn der befürchtete Schaden schwerwiegend sei. Sie betonten allerdings, dass konkrete Verdachtsmomente vorliegen müssten. Ein Eingriff in das elterliche Sorgerecht sei nämlich nur dann gerechtfertigt, wenn Tatsachen nahe legten, dass das Kindeswohl konkret gefährdet sei. Solche Anhaltspunkte konnte das Gericht im vorliegenden Fall aber nicht erkennen. Die Grosseltern, die in der Hauptstadt Addis Abeba lebten, gehörten zum gebildeten Bürgertum, die einen aufgeklärten Lebensstil pflegten. Sie hätten eine Privatschule gegründet, die sie aus eigener Tasche finanzierten und die einen sehr guten Ruf genieße. Die Praxis der Beschneidung von Frauen lehne die ganze Familie rigoros ab.

Man könne Menschen, die sich moderne Lebensverhältnisse erarbeitet hätten, nicht unter einen Generalverdacht stellen, nur weil in ihrem Heimatland noch archaische Vorstellungen und Lebensverhältnisse verbreitet seien.