Beschlüsse Kinder

Eltern entscheiden über Cochlea-Implantation – kein Teilentzug des Sorgerechts

08.12.2020

(red/dpa). Bei bestimmten Hörschäden kann eine Cochlea-Implantation Abhilfe schaffen. Lehnen Eltern dies für ihr Kind ab, liegt dies in ihrer Entscheidungsfreiheit.

Der Junge, der zur Zeit die Kinderkrippe besucht, ist nahezu taub. Die Eltern sind beide hörgeschädigt. Bei dem Kind besteht möglicherweise ein Resthörvermögen, in diesem Fall käme für ihn eine so genannte Cochlea-Implantation in Frage, die zu Hör- und damit auch Sprachvermögen führt. Die Eltern lehnten eine solche Operation jedoch ab. Das Jugendamt sah in der Ablehnung eine Kindeswohlgefährdung, da der Junge ohne die Implantation sein Leben lang kein Hör- und Sprachvermögen haben wird. Das wiederum erschwert die Teilnahme am gesellschaftlichen Sozialleben der Hörenden und Sprechenden sowie Einschränkungen bei Berufswahl und -ausübung.

Das Jugendamt teilte den Fall dem Familiengericht mit, das ein Sorgerechtsverfahren einleitete. Vor Gericht bekamen die Eltern Recht. Es sei nicht Aufgabe des Staats, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten ihres Kinds zu sorgen, so das Gericht. Sie seien es, die die vorrangige Entscheidungszuständigkeit bei der Förderung ihrer Kinder hätten. Dabei nehme man auch in Kauf, dass Kinder durch Entscheidung der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erlitten. Ein Eingriff in dieses Grundrecht auf die elterliche Sorge müsse geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein.

Die Frage, ob für die Cochlea-Implantation verbunden mit den Operationsrisiken ein Eingriff in das elterliche Sorgerecht gerechtfertigt wäre, müsse hier nicht beantwortet werden. Die notwendige Therapie nach der OP sei nämlich nicht gewährleistet. Die Eltern müssten die unverzichtbare Lautsprachentherapie ermöglichen. Da sie selbst nicht über die Lautsprache verfügten, müsste ihr Sohn jeweils nachmittags nach der Kinderkrippe Zeit unter Sprechenden und Hörenden verbringen. Dies wäre auch mit einer Trennung des Kindes von den Eltern verbunden, was diese nicht akzeptierten.

Entscheidend sei, ob die Eltern eine solche Therapie ablehnten oder mittrügen. Eine Cochlea-Implantation gegen ihren Willen würde bei ihrem Sohn zu einem erheblichen Loyalitätskonflikt führen. Es bestehe die Gefahr, dass sie signalisierten, das Cochlea-Implantat abzulehnen. Langfristig würde der Junge diese ablehnende Haltung spüren.

Das Gericht wies auch darauf hin, dass die Entscheidung der Eltern nicht auf Unwissenheit beruht. Sie hätten sich ausführlich mit der Cochlea-Implantation auseinandergesetzt und seien darüber hinaus bereit gewesen seien, sich weiteren und neuen Argumenten für eine Implantation zu öffnen. Am Ende hätten sie sich dagegen entschieden und für die alternative Behandlung mit einem Hörgerät. Diese Entscheidung liege in der Entscheidungsfreiheit und Fürsorge der Eltern.

Amtsgericht Goslar am 28. Januar 2019 (AZ: 12 F 226/17 SO)