Beschlüsse Kinder

Elternstreit gefährdet Kindeswohl – Umgangsausschluss für zwei Jahre

09.01.2023

(red/dpa). Der Streit um das Umgangsrecht kann unter Umständen das Kindeswohl so beeinträchtigen, dass ein befristeter Umgangsausschluss gerechtfertigt ist.

Das 2011 geborene Mädchen lebt bei der Mutter. Die Eltern stritten um das Umgangsrecht des Vaters. Den Streit führten die Eltern hochemotional, er war geprägt von Vorwürfen, Beleidigungen, wechselseitiger Respektlosigkeit und Herabwürdigungen. Der Vater thematisierte gegenüber dem Kind immer wieder die elterlichen Streitpunkte.

Im Laufe der Zeit entwickelte die Tochter eine immer vehementere Ablehnung der Umgangskontakte mit ihrem Vater bis hin zu einer totaler Verweigerung. Vor sämtlichen neutralen Stellen (u.a. Gericht, Sachverständige, Umgangspfleger) lehnte sie schließlich durchgängig persönliche Kontakte zum Vater ab.

Ablehnung des Umgangs: Zählt der Wille des Kinds?
Das Gericht entschied, den Umgang zwischen Vater und Tochter für zwei Jahre auszuschließen. Bei einer solchen Entscheidung komme dem Willen des Kinds mit zunehmendem Alter immer größere Bedeutung zu. Er sei der Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts. Die eigene Willensbildung sei Ausdruck der Individualität und Persönlichkeit des Kinds. Seine wachsende Fähigkeit zu eigener Willensbildung und selbständigem Handeln sei zu berücksichtigen, damit es sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln könne. Ein erzwungener Umgang könne unter Umständen mehr Schaden verursachen als Nutzen bringen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn das Kind Loyalitätskonflikten ausgesetzt sei. Eine feste Altersgrenze, ab der dem kindlichen Willen nachzukommen sei, gebe es nicht, das hänge individuell von dem jeweiligen Kind ab.

Umgangsrecht und Kindeswohl müssen abgewogen werden
Umgangsrecht sowie Wohl und Wille des Kindes müssten gegeneinander abgewogen werden. Bloße Widerstände des Kinds oder dessen Lustlosigkeit am Umgang könnten den Ausschluss allerdings nicht rechtfertigen. Andererseits sei er dann berechtigt, wenn der Schutz des Kindes dies erfordere, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren.

Die in Ausnahmefällen gegebenen Voraussetzungen für einen Ausschluss lägen hier vor. Die Tochter lasse bereits seit längerem eine solche Verweigerungshaltung erkennen, dass ein Umgang ihr Kindeswohl massiv gefährden würde. Der Wille des Mädchens, den Kontakt zum Vater abzubrechen, sei stabil, zielorientiert, intensiv und autonom.

Die Ursachen für diese außergewöhnlich deutliche kindliche Ablehnung fänden sich in dem hochemotional geführten elterlichen Streit. Inwieweit die Eltern an der verfestigten Verweigerungshaltung der Tochter ein konkretes Verschulden hätten, sei zwar nicht entscheidend für den Ausschluss. Es bleibe zu hoffen, dass die Eltern ihr eigenes Versagen (endlich) wahrnehmen und dem zukünftig zumindest besser begegnen werden.

Oberlandesgericht Brandenburg am 19. April 2022 (AZ: 9 UF 209/21)