Beschlüsse Kinder

Kindeswohl: Gerichtsentscheidung gegen Einschätzung der Fachleute muss nachvollziehbar begründet sein

11.10.2021

Karlsruhe/Berlin (DAV). Sprechen sich beteiligte Fachleute wie etwa Jugendamt, Familienhilfe oder Vormund dafür aus, ein Kind wegen Gefährdung des Kindeswohls aus seiner Familie zu nehmen, muss das Gericht dem nicht zwingend folgen. Allerdings müssen die Richter in einem solchen Fall eingehend begründen, warum und auf welcher Grundlage sie zu diesem Ergebnis kommen.

„Lehnt das Fachgericht eine Trennung des Kindes von seinen Eltern oder Pflegeeltern ab, obwohl Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass eine nachhaltige Gefahr für das Wohl des Kindes vorliegt, unterliegt dies strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle“, so das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung.

Fragen des Kindeswohls
Der zu der Zeit fünfjährige Junge wurde aus seiner Pflegefamilie herausgenommen, als bekannt wurde, dass der Pflegevater zwei Jahre zuvor wegen Besitz von kinderpornografischem Material verurteilt worden war.

In der Zeit danach trennte sich die Pflegemutter von ihrem Mann und wollte die Rückkehr ihres Pflegesohns erreichen. Das Oberlandesgericht Brandenburg stimmte dem zu, das Jugendamt als Amtsvormund des Jungen legte dagegen aber Verfassungsbeschwerde ein.

Das Bundesverfassungsgericht hob den Beschluss wird auf und verwies die Sache an das Oberlandesgericht zurück.

Halte ein Gericht die Trennung des Kinds von seinen (Pflege-)Eltern trotz Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung nicht für erforderlich, so die Verfassungsrichter, müsse es das nachvollziehbar begründen. Das gelte insbesondere dann, wenn das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen oder der beteiligten Fachkräfte – etwa Jugendamt und Vormund – nicht folge.

Im vorliegenden Fall fehle eine solche Begründung. Insbesondere berücksichtige das Oberlandesgericht wichtige Umstände nicht, die für eine Gefährdung des Kindeswohls bei einer Betreuung durch die Pflegemutter sprächen. Es begründe seine Entscheidung vor allem damit, dass die Pflegeeltern sich endgültig getrennt und zugesagt hätten, die Auflagen des Pflegevaters einzuhalten. Das Gericht weise jedoch selbst drauf hin, dass die Anhörung der Pflegeeltern deutlich gemacht habe, warum die beteiligten Fachpersonen an einer endgültigen Trennung zweifelten. Diese hätten Punkte genannt, die gegen eine endgültige Trennung des Ehepaars sprächen und damit für die Gefahr eines unbeaufsichtigten Kontakts des Pflegevaters zum Kind und die Gefahr eines Missbrauchs. So hätten etwa die Pflegeeltern stets ‒ auch nach der Trennung ‒ ihre gegenseitige Verbundenheit zum Ausdruck gebracht und gegenüber dem Jugendamt geäußert, zusammenleben zu wollen.

Bundesverfassungsgericht am 12. Februar 2021 (AZ: 1 BvR 1780/20)