Beschlüsse Kinder

„Müller“ darf auch ein Vorname sein

10.03.2022

(red/dpa). Ein Ehepaar, das nicht denselben Nachnamen trägt, entscheidet bei der Geburt des ersten Kinds über dessen Nachnamen. Diese Entscheidung hat „Bindungswirkung“ für die weiteren Kinder. Ein Elternpaar, dass dem zweiten Kind einen anderen Nachnamen als dem ersten geben wollte, wählte einen ungewöhnlichen Weg.

Das Ehepaar trug keinen gemeinsamen Nachnamen. Ihr erstes Kind erhielt den Nachnamen der Frau. Als dann das zweite Kind geboren wurde, sollte es den Nachnamen des Mannes bekommen. Nachdem man die Eltern darauf hingewiesen hatte, dass die Geburtsnamensbestimmung für das erste Kind für die weiteren Kinder eine Bindungswirkung habe, wollten sie ihre Tochter mit zweitem Vornamen „Müller“ nennen.

Das Standesamt zweifelte, ob das möglich sei und wandte sich an das Amtsgericht. Der Bundesgerichtshof hatte 2008 entschieden (AZ: XIIZB 5/08), dass die grundsätzliche Eignung auch von Familiennamen als Vornamen nicht für besonders häufige Familiennamen gelte. Für das Standesamt sei nicht zu klären, ob bei einem Vornamen „Müller“ von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen sei. Das Amtsgericht lehnte „Müller“ als Vornamen ab, wogegen die Eltern Beschwerde einlegten.

Nachname als Vorname: Kindeswohlgefährdung?
Mit Erfolg. Auch dieser Name sei ein zulässiger Vorname. Die Namensgebung dürfe die Funktion des Vornamens für das Kind, seine Identität zu finden und seine Individualität zu entwickeln, nicht beeinträchtigen, erläuterte das Gericht. Sofern staatliche Stellen eine bestimmte Namenswahl verweigerten, müsse allerdings die konkrete Gefahr gegeben sein, dass der Vorname bei normalem Verlauf das Kind nicht zu einer Identitätsfindung befähige. Dies könne der Fall sein, wenn der Name etwa kaum aussprechbar sei. Auch wenn der Bedeutungsgehalt oder geschichtliche Hintergrund des Namens wahrscheinlich Anlass für Anfeindungen oder Belästigungen seien, wäre das der Fall. Vor diesem Hintergrund seien nicht geschlechtseindeutige und Phantasienamen ebenso zulässig wie solche, die üblicherweise als Familiennamen in Gebrauch seien.

Mehrere Vornamen – ein Name kann auch häufiger Nachname sein
Dem sei das Amtsgericht zwar gefolgt, habe aber entschieden, dass „Müller“ als besonders häufiger Familienname ausscheide. Das sah das Oberlandesgericht anders. Der BGH habe in seiner Entscheidung auch ausgeführt, dass auch der Nachname „eines nicht den Familiennamen stiftenden Elternteils“ zur Identitätsfindung des Kinds beitragen könne. Mögliche Beeinträchtigungen verlören dann an Gewicht, wenn das Kind mehrere Vornamen habe und im sozialen Kontakt einer der weiteren – dann aber unproblematischen – Vornamen benutzen könne.

Es gebe eine Tradition, das Kind durch mehrere Vornamen an bestimmte Personen, etwa Großeltern oder Taufpaten „anzubinden“. Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass derartige Vornamen eben nicht als „Rufnamen“ im sozialen Kontakt genutzt, aber durchaus mit einem Bewusstsein der eigenen sozialen und familiären Einbindung getragen werden. Auch dies sei ein Bestandteil der Identitätsfindung und Individualisierung. Diese Überlegung treffe auch auf die Verwendung eines Namens zu, der üblicherweise nur als Nachname in Gebrauch sei.

Sind unter den genannten Voraussetzungen weitere Vornamen vorhanden, die dem Kind im sozialen Kontakt eine „Ich-Findung“ leicht ermöglichen, so könne das Gericht nicht erkennen, welche Bedeutung der Häufigkeit des als Nachnamen benutzten Vornamens zukommen solle.

Daher sei auch der Name Müller ein zulässiger Vorname, wenn – wie hier – zwei weitere, zudem geschlechtseindeutige Vornamen dazu kämen. Der
Name Müller habe weder eine historische Vorbelastung noch eine alternative Wortbedeutung, die Anlass etwa für Hänseleien sein könnten.

Oberlandesgericht Hamm am 28. Mai 2020 (AZ: 15 W 374/19)