Beschlüsse Kinder

Mutter entführt Tochter aus der Ukraine nach Deutschland: Keine Rückführung

24.02.2023

(DAV). Entführt ein Elternteil das gemeinsame Kind in einen anderen Staat, kann das Haager Kindesentführungsüberkommen greifen. Sein Zweck ist, Kinder zu schützen, die widerrechtlich in einen anderen Staat gebracht wurden. Das Übereinkommen haben über 100 Vertragsstaaten unterschrieben.

Bis Anfang März 2022 lebten die Eltern, die sich getrennt hatten, mit ihrer Tochter in einer gemeinsamen Wohnung in der Ukraine. Bei Fliegeralarm flüchtete sich die Familie ins Auto und verbrachte die Nacht in der Tiefgarage. Am 2. März verließ die Mutter mit der Tochter die gemeinsame Wohnung und begab sich ohne das Einverständnis des Vaters nach Deutschland.

Die Mutter habe damit sein Mitsorgerecht verletzt, erklärte der Vater und beantragte die Rückführung seines Kinds in die Ukraine. Er sei bereit, für Mutter und Kind eine Wohnung anzumieten und ihr Geldzahlungen zukommen zu lassen.

Kindesentführung durch Elternteil: Rückkehr ins Kriegsgebiet?
Die Mutter lehnte ab. Es sei zu gefährlich, das Kind in ein Kriegsgebiet zurückzubringen. Auch sei nicht absehbar, wie lange der Krieg in der Ukraine dauern werde. Da der Vater ihrer Tochter unzuverlässig sei, könne man darüber hinaus auf seine Zusagen nicht vertrauen.

Das Gericht entschied: Eine Rückführung des Kinds kommt nicht in Betracht. Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine greife die Härteklausel des Haager Kindesentführungsüberkommen (Art. 13 Abs. 1 b, HKÜ): Das Gericht (Person, Behörde oder sonstige Stelle) sei nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn, „die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt“.
Die Richter in erster und zweiter Instanz waren sich einig, dass dies hier der Fall war.

Nach Entführung durch Mutter: Rückkehr des Kinds in die Ukraine?
Zwar sei diese HKÜ-Regelung eng auszulegen. Zweck des HKÜ sei es, den Gerichten des Staates, in dem das Kind zuvor normalerweise aufgehalten habe, zügige Sorgerechtsentscheidungen zu ermöglichen. Die genannte Härteklausel finde dann Anwendung, wenn eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls zu erwarten sei. Das sei der Fall, wenn das Kind in ein Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiet zurückkehren solle und dort eine konkrete Gefahr für das Kind bestehe.

Es entspreche gerade der Wertung des HKÜ, dass in einem derartigen Ausnahmefall das Ziel, eine Kindesentführung rückgängig zu machen, hinter höherrangigen Zielen wie dem Schutz des Lebens und der Gesundheit des Kindes zurückstehen müsse.

Oberlandesgericht Stuttgart am 13. Oktober 2022 (AZ: 17 UF 186/22)