Beschlüsse Kinder

Nach in Obhutnahme: Kindesrückführung nicht ohne psychologisches Gutachten

08.07.2022

Frankfurt/Berlin (DAV). Soll ein Kind, das bereits kurz nach seiner Geburt Pflegeeltern in Obhut genommen haben, möglicherweise wieder zu seinen leiblichen Eltern zurückkehren, muss die Frage des Kindeswohls geprüft werden. Ein entscheidender Aspekt dabei ist die entstandene Bindung zu den Pflegeeltern.

Das 2020 geborene Mädchen lebt bei Pflegeeltern. Seine ältere Schwester war bereits ebenfalls unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen worden. Das dritte Geschwisterkind lebt bei den Eltern.

Die Pflegeeltern des Mädchens wollten, dass ihre Pflegetochter dauerhaft bei ihnen leben würde. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt setzte sich – im Gegensatz zu dem am Verfahren beteiligten Jugendamt – für eine Rückkehr des Kinds zu seinen leiblichen Eltern ein. Im Vorfeld sollten intensivierte Umgänge stattfinden. Der Verfahrensbeistand des Kinds sprach sich gegen eine Rückführung aus.

Das Amtsgericht sah keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, wenn das Sorgerecht auf die biologischen Eltern rückübertragen würde. Die Pflegeeltern legten Beschwerde ein.

Rückkehr zu Eltern: gefährdet Trennung von Pflegeeltern Kindeswohl?
Das Oberlandesgericht hob die Entscheidung auf und verwies das Verfahren zurück an das Amtsgericht. Es bemängelte vor allem das Fehlen eines psychologischen Sachverständigengutachtens. Eine Entscheidung wie diese könne nicht ohne ein solches Gutachten getroffen werden. Das gelte umso mehr, wenn das im Verfahren beteiligte Jugendamt und der Verfahrensbeistand sich gegen die Kindesrückführung aussprächen.

Das Gutachten habe die Folgen der Trennung des Kinds von seiner Familie zu beleuchten. Wichtig sei insbesondere die Frage nach den Bindungen an seine Pflegeeltern und deren Umfeld und ob der Abbruch dieser Bindungen das Kindeswohl gefährde.

Darüber hinaus habe das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass bei dem Kind besondere Risikofaktoren vorlägen. Es reagiere besonders sensibel auf Stresssituationen, die zum Teil Reaktionen wie Essensverweigerung und Gewichtsverlust nach sich zögen.

Das Amtsgericht werde umfassend aufklären müssen, ob die Rückführung des Kinds zu seinen Eltern eine Kindeswohlgefährdung darstelle, die den Verbleib bei den Pflegeeltern jedenfalls vorübergehend erfordere. Darüber hinaus werde es der Frage nachgehen müssen, ob die Eltern dazu in der Lage seien, das Sorgerecht ohne Gefährdung des Kindeswohls auszuüben.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 03. März 2022 (AZ: 6 UF 225/21)