Beschlüsse Scheidung

Verletzung der Freizügigkeit – keine Aufhebung einer Minderjährigenehe von EU-Bürgern

03.03.2020

(red/dpa). Die in einem anderen EU-Staat rechtsgültig geschlossene Ehe einer Minderjährigen kann in Deutschland in der Regel nicht aufgehoben werden. Die Aufhebung verletzt das Recht der Betroffenen auf Freizügigkeit.

Das Paar, beide bulgarische Staatsangehörige, heiratete 2018 in Bulgarien. Zu dem Zeitpunkt war die Frau 17 Jahre alt und bereits seit rund eineinhalb Jahren Mutter. Im Sommer 2018 kam das Ehepaar mit ihrem gemeinsamen Kind nach Deutschland. Die Frau erwartete ihr zweites Kind. Die zuständige Behörde des Lands Hessen beantragte, die Ehe aufzuheben, da die Frau bei der Eheschließung minderjährig und damit nicht ehemündig gewesen sei.

Die Gerichte wiesen den Antrag in zwei Instanzen zurück. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung lägen nicht vor. Die Ehe sei in Bulgarien rechtmäßig geschlossen worden. Auch in diesem Land bestehe die Ehemündigkeit grundsätzlich erst ab dem 18. Lebensjahr, doch könne auch eine 16-jährige Person heiraten, sofern die Genehmigung eines Rayonsrichters vorliege. Das sei hier der Fall.

Aufhebung der Ehe verletzt Recht auf Freizügigkeit in der EU
Nach deutschem Recht könne auch eine nach ausländischem Recht geschlossene Ehe aufgehoben werden, wenn einer der Partner bei der Heirat das 16., nicht aber das 18. Lebensjahr vollendet habe. Eine Aufhebung sei aber dann ausgeschlossen, „wenn auf Grund außergewöhnlicher Umstände die Aufhebung der Ehe eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehepartner darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint“. Das sei hier der Fall.

Im vorliegenden Fall würden die Freizügigkeitsrechte der Frau, die sie als EU-Bürgerin innerhalb der EU habe, verletzt. Jeder Unionsbürger habe das Recht, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Würde die Ehe eines Unionsbürgers – wirksam geschlossen in einem EU-Staat – in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben, behindere ihn das in seiner Freizügigkeit.

Im EU-Ausland geheiratet: Keine Aufhebung in Deutschland
Die Nachteile, die das Paar durch die Aufhebung der Ehe hätte, seien schwerwiegend. Bevor die Frau volljährig würde und die Ehe bestätigen könne, wäre es ihnen nicht möglich, ihren Aufenthalt als verheiratetes Paar in Deutschland zu wählen. Alternativ müssten sie ein gerichtlichen Aufhebungsverfahren akzeptieren und in Kauf nehmen, als unverheiratetes Paar zu leben und dass ihr zweites Kind nichtehelich geboren werde. Da sie auch künftig weiterhin als verheiratetes Paar zusammenleben wollten, müssten sie erneut heiraten.

Darüber hinaus wiesen die Richter darauf hin, dass die Frau nicht in dem Maße schutzbedürftig sei, „wie dies dem Gesetzgeber bei Verabschiedung des genannten Gesetzes vorschwebte“. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Frau Tragweite und Rechtsfolgen der Ehe bei der Heirat nicht habe erfassen können. Darüber hinaus wollte das Paar auch künftig als verheiratetes Paar mit ihren gemeinsamen Kindern zusammenleben. Im Falle einer Eheaufhebung würden sie, wenn die Frau volljährig sein würde – also in knapp 1,5 Monaten – wieder heiraten.

Oberlandesgericht Frankfurt am 4. September 2019 (AZ: 5 UF 97/19)