Beschlüsse Unterhalt

Anspruch eines Vaters auf „Stillurlaub“

30.09.2010

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat entschieden, dass abhängig beschäftigte Väter unabhängig vom beruflichen Status der Mutter ihres Kindes Anspruch auf so genannten "Stillurlaub" haben. Nationale Regelungen, die dies Vätern versagen, wenn die Mutter ihres Kindes nicht abhängig beschäftigt sei, seien diskriminierend.

Das spanische Gesetz bestimmt, dass Mütter, die abhängig beschäftigt sind, in den ersten neun Monaten nach der Geburt ihres Kindes "Stillurlaub" nehmen können. Damit ist ein Anspruch auf eine Stunde Arbeitsbefreiung, die sie in zwei Abschnitte aufteilen können, oder auf eine Verkürzung ihrer täglichen Arbeitszeit um eine halbe Stunde verbunden. Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass dieser Urlaub sowohl von der Mutter als auch vom Vater in Anspruch genommen werden kann, sofern beide arbeiten.

Einem Spanier wurde der Antrag auf Stillurlaub mit der Begründung verwehrt, dass die Mutter seines Kindes keine Arbeitnehmerin, sondern selbständig tätig sei. Daraufhin hat er die Entscheidung seines Arbeitgebers vor den nationalen Gerichten angefochten.

Das Tribunal Superior de Justicia de Galicia stellte fest, dass dieser Urlaub aufgrund der Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften und der nationalen Rechtsprechung von der biologischen Tatsache des Stillens losgelöst sei. Nachdem er im Jahr 1900 eingeführt worden sei, um der Mutter das Stillen zu erleichtern, könne er seit einigen Jahren auch dann gewährt werden, wenn das Kind nicht mit Muttermilch ernährt werde. Seither werde dieser Urlaub als reine Zeit der Kinderbetreuung und als eine Maßnahme angesehen, um Berufs- und Familienleben nach dem Mutterschaftsurlaub miteinander in Einklang zu bringen. Der Vater könne jedoch bis heute nur dann, wenn die Mutter abhängig beschäftigt sei und damit Anspruch auf Stillurlaub habe, diesen an ihrer Stelle in Anspruch nehmen.

Das Gericht bezweifelte, dass dies mit EU-Recht vereinbar sei. Daher hat es den EuGH gefragt, ob der Anspruch auf Stillurlaub nicht sowohl Männern als auch Frauen gewährt werden müsse, unabhängig davon, ob die Mutter abhängig beschäftigt sei oder nicht. Die anders lautende spanische Vorschrift sei diskriminierend und laufe dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen zuwider, der nach EU-Richtlinien anerkannt sei.

Der EuGH entschied, dass ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliege. Die spanische Regelung stelle eine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts dar. Der EuGH hat zunächst ausgeführt, dass dieser Urlaub, der eine Änderung der Arbeitszeit bewirkt, die Arbeitsbedingungen berührt. Diese werden in den Richtlinien geregelt, nach denen jegliche Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts verboten ist. Die Situation von zwei Arbeitnehmern, die Vater bzw. Mutter von Kleinkindern sind, sei im Hinblick auf die Notwendigkeit, ihre tägliche Arbeitszeit zu verringern, um sich um ihr Kind zu kümmern, vergleichbar. Trotzdem reiche nach der Regelung des spanischen Arbeitnehmerstatuts die Eigenschaft als Elternteil für männliche Arbeitnehmer nicht aus, um diesen Urlaub in Anspruch nehmen zu können, wohl aber für weibliche Arbeitnehmer. Die spanische Regelung schaffe dadurch eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts zwischen abhängig beschäftigten Müttern und abhängig beschäftigten Vätern.

Schließlich stellte der EuGH noch fest, dass diese Diskriminierung weder mit den Zielen des Schutzes der Frau noch mit der Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen gerechtfertigt werden kann. Zum einen habe dieser Urlaub nicht zum Ziel, den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau nach der Schwangerschaft oder den Schutz der besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind zu gewährleisten. Dass der Urlaub sowohl vom Vater als auch von der Mutter genommen werden könne, bedeute nämlich, dass sowohl der Vater als auch die Mutter für die Ernährung und die Kinderbetreuung sorgen können. Der Urlaub werde den Arbeitnehmern also in ihrer Eigenschaft als Eltern des Kindes gewährt. Zum anderen führe eine derartige Regelung nicht zur Beseitigung oder Verringerung etwaiger für Frauen bestehender faktischer Ungleichheiten. Sie diene auch nicht dazu, Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn der betreffenden Personen zu verhindern oder auszugleichen.

Zwar könne diese Maßnahme eine Begünstigung von Frauen bewirken, indem sie es abhängig beschäftigten Müttern ermöglicht, ihren Arbeitsplatz beizubehalten und sich zugleich ihrem Kind zu widmen. Diese Wirkung werde dadurch verstärkt, dass der Vater des Kindes die Möglichkeit hat, den Urlaub anstelle der Mutter in Anspruch zu nehmen, die dank der ihrem Kind gewährten Pflege und Aufmerksamkeit keine nachteiligen Folgen für ihr Beschäftigungsverhältnis zu befürchten habe. Dagegen sei der Umstand, dass allein die abhängig beschäftigte Mutter den Urlaubsanspruch habe, geeignet, die herkömmliche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zu verfestigen: Den Männern werde so weiterhin eine im Hinblick auf die Ausübung der elterlichen Gewalt untergeordnete Rolle zugewiesen. Außerdem könne dies wie im vorliegenden Fall dazu führen, dass eine selbstständig tätige Frau gezwungen sei, ihre berufliche Tätigkeit einzuschränken und die sich aus der Geburt ihres Kindes ergebende Belastung allein zu tragen, ohne dass der Vater des Kindes sie entlasten könnte.

EuGH, Urteil vom 30. September 2010 (AZ: C-104/09)