Beschlüsse Unterhalt

Wann dürfen Kinder erfahren, von wem sie abstammen?

18.03.2015

Experten schätzen, dass in Deutschland rund 100.000 Kinder leben, die durch eine Samenspende gezeugt worden sind. Viele von ihnen kennen ihren biologischen Vater nicht. Doch sie haben das Recht darauf, seinen Namen zu erfahren. Strittig war bislang aber, ab welchem Alter dieses Recht greift. Darüber hat nun der Bundesgerichtshof entschieden: Ein Mindestalter sei demnach nicht erforderlich.

Wenn es mit dem Wunschkind nicht klappt, greifen Paare manchmal auf die Reproduktionsmedizin und die Angebote von Samenbanken zurück. Samenspenden sind in Deutschland anders als zum Beispiel Eizellspenden oder Leihmutterschaft legal. Damit verbunden ist aber nicht, dass Samenspender zum Beispiel anonym bleiben dürfen. Denn dem widerspricht aus juristischer Sicht das Recht des Kindes, zu wissen, von wem es abstammt.

Rechtlich umstritten war bislang aber, ab welchem Alter Kinder den Namen ihres Erzeugers von dem behandelnden Arzt oder der Reproduktionsklinik erfahren dürfen. Eine Antwort auf diese Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nun gegeben: Kinder haben grundsätzlich ein Recht darauf, den Namen ihres biologischen Vaters zu erfahren, so die Richter. „Ein bestimmtes Mindestalter ist dafür nicht erforderlich" (AZ: XII ZR 201/13).

Die Bundesrichter machten deutlich, dass sich ein Auskunftsanspruch von „Spenderkindern“ aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergibt, wie sie das Bürgerliche Gesetzbuch in Paragraph 242 definiert. Allerdings müsse immer der konkrete Einzelfall geprüft und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abgewogen werden. Diese Interessen sind das Persönlichkeitsrecht des Kindes, die ärztliche Schweigepflicht und das Recht des Samenspenders auf informationelle Selbstbestimmung. Dessen wirtschaftliche Interessen seien aber nicht maßgeblich, betonten die Bundesrichter.

Sie haben den Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen, das Landgericht Hannover. Dieses muss nun die vom BGH geforderte Abwägung der Interessen der Beteiligten vornehmen, dabei aber berücksichtigen, was der BGH in seinem aktuellen Urteil deutlich gemacht hat: Dass nämlich dem Recht des Kindes auf Wissen um seine Herkunft „regelmäßig ein höheres Gewicht“ etwa gegenüber den Interessen eines Samenspenders zukomme.

Klage von „Spenderkindern" vor dem Bundesgerichtshof

Den BGH-Richtern lag die Klage eines heute 12 und 17 Jahre alten Geschwisterpaares vor, das wissen möchte, wer ihr biologischer Vater ist. Die beiden waren durch eine Samenspende in einer Reproduktionsklinik gezeugt worden.

Ihren Wunsch nach Wissen hatte das Landgericht Hannover 2013 noch verworfen. Die Richter hatten den Geschwistern zwar das Recht auf Wissen um die eigene Herkunft eingeräumt, zugleich aber betont, dass solche Auskünfte Kindern erst ab 16 Jahren mitgeteilt werden könnten. Um diese Argumente zu untermauern, hatte das Landgericht auf das Personenstandsgesetz und dort enthaltende Regeln über das Alter von Auskunftsberechtigten verwiesen (AZ: 6 S 50/13).

Dieser Argumentation ist der BGH in seinem aktuellen Urteil nicht gefolgt und hat klargestellt, dass auch Kinder unter 16 Jahren auskunftsberechtigt sind. „Allerdings muss ein gesetzlicher Vertreter die Interessen von Kindern unter 16 Jahren gegenüber einer Samenbank oder Reproduktionsklinik durchsetzen", erklärt der Rechtsanwalt Burkhard Bühre von der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).

Hintergrund: Anspruch auf Auskunft über den Vater folgt aus Grundrechten

Das Recht auf Wissen um die eigene Herkunft regelt bislang kein Gesetz, „Spenderkinder“ haben keinen gesetzlichen Rechtsanspruch. Ihr Anspruch leitet sich aber aus den Grundrechten ab, wie das Bundesverfassungsgericht 1989 in einem Urteil zum Thema Samenspende klargestellt hat (AZ: 1 BvL 17/87). „Dem Urteil nach definieren das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Artikel zwei in Verbindung mit Artikel eins des Grundgesetzes das Recht auf Kenntnis der leiblichen Eltern“, sagt der Oldenburger Rechtsanwalt Burkhard Bühre.

Welche Rechte haben „Spenderkinder“?

Durch Samenspenden gezeugte Kinder dürfen nur den Namen ihres Erzeugers erfahren. Ihm schreiben oder ihn besuchen dürfen sie nicht gegen seinen Willen. Der Spender ist den Kindern gegenüber nicht verpflichtet, Kontakt mit ihnen zu haben. Außerdem ist der biologische Vater den Kindern gegenüber nicht ohne weiteres unterhaltspflichtig. Zumindest ist die Möglichkeit, dass ein Samenspender Unterhalt zahlen muss, theoretisch und würde ein kompliziertes rechtliches Prozedere verlangen. Darin müsste das Kind zum Beispiel die Vaterschaft seines rechtlichen Vaters anfechten und ein Gericht veranlassen, die Vaterschaft seines biologischen Vaters festzustellen.

Dürfen Samenspender anonym bleiben?

Dieses Recht kann auch nicht dann ausgehebelt werden, wenn es vertragliche Anonymitätsvereinbarungen zwischen Reproduktionsklinik und Samenspender gibt, wie etwa das Oberlandesgericht Hamm 2013 deutlich gemacht hat. Die Richter verurteilten eine Reproduktionsklinik dazu, einer jungen Frau den Namen ihres Erzeugers mitzuteilen (AZ: I-14 U 7/12).

Was regelt das Gesetz zur Gewebespende?

Trotz der eindeutigen höchstrichterlichen Urteile, die es zum Thema Samenspende gibt - „Spenderkinder“ könnten auf der Suche nach der Identität ihres biologischen Vaters auch weiterhin mit Schwierigkeit zu kämpfen haben. Denn es gibt bisher kein nationales Register, in dem Spender und Kinder erfasst werden, und nicht immer verfügen Reproduktionskliniken über die Daten der Samenspender. Denn bis 2007 waren Kliniken nicht dazu verpflichtet, diese Daten aufzubewahren mit der Folge, dass manche Akten vernichtet wurden. Eine Rekonstruktion der Identität von Spendern ist so unmöglich. Erst 2007 änderte sich diese Rechtslage mit dem Gesetz zur Gewebespende, das Kliniken dazu verpflichtet, Unterlagen 30 Jahre lang aufzubewahren.